Ein regelmäßiger Blick über den Teich lohnt sich für uns Europäer. Denn was in den Vereinigten Staaten vorgedacht und -gemacht wird, kommt mit einer gewissen Verzögerung früher oder später auch zu uns. Gender oder Critical Race Theory sind als Beispiele für akademische US-Diskurse, die es bis in die Populärkultur geschafft haben und auch in Deutschland angekommen sind, zu nennen. Über Netflix, Disney und Amazon landen sie weltweit auf den Bildschirmen des Otto Normalverbrauchers – die vollendete linksliberale Kulturhegemonie. Doch diese progressiven Konzepte sind auch in den USA nicht unumstritten. Sie treffen auf eine Gesellschaft, die zersplitterter kaum sein könnte. Ethnische, kulturelle und politische Konfliktlinien kulminieren zu einer nicht enden wollenden innenpolitischen Eruption. Ein signifikanter Teil der schwindenden weißen Mehrheitsgesellschaft kämpft um sein historisches Erbe und stemmt sich gegen seine Auflösung und Verächtlichmachung in einem „post-racial America“, während Bewegungen wie Black Lives Matter ebenjenes „post-racial America“ Realität werden lassen wollen. Der Rittenhouse-Fall, der Charlottesville-Prozess und das Waukesha-Attentat stehen symptomatisch für eine USA, die außenpolitisch gerne wieder als selbstbewusster Hegemonie auftreten würde, jedoch das Augenmerk auf ihre inneren Zerfallsprozesse richten muss. Der Publizist, Historiker und US-Spezialist Nils Wegner ordnet für uns die Dinge.
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